Das tausendfach unerbittliche Déjà- vu

 

Guten Tag, ich möchte euch erneut willkommen heißen zur Maiausgabe meines erst seit kurzem ins Leben gerufenen Blogs. Ich hoffe, er kann berühren, zum Nachdenken und Innehalten anregen, aber auch Mut machen und vielleicht sogar helfen.

 

Mein Name ist Barbara Koller, ich besuche schon seit vielen Jahren die Stimmenhörergruppe bei EXIT-sozial und versuche seit 18 Jahren immer wieder einen Umgang mit meinen Stimmen zu finden. Es freut mich aufrichtig, dass ich die Möglichkeit habe, meine Erfahrungen mit euch zu teilen.


 

Kennt ihr das auch? Ihr seid gerade unterwegs, fühlt euch gestresst und überfordert, körperlich und/oder psychisch und plötzlich aus heiterem Himmel, wie aus dem Nichts, tauchen im ungünstigsten Augenblick die Stimmen auf. Bei mir gibt es kein erkennbares Muster, wann und in welchen Situationen die Stimmen eher kommen, aber ich kann mit ihnen keine Vereinbarung treffen.

 

Sind sie erst einmal in ihrer Unverwüstlichkeit losgelassen, lassen sie sich für mehrere Stunden nicht mehr beruhigen oder gar verdrängen. Das ist unglaublich anstrengend für mich. Und eigentlich fühle ich, dass sie immer da sind. Es ist, als ob jemand auf einen Knopf drückt, einen Schalter betätigt bzw. die Lautstärke aufdreht und dann fließen sie durch mich hindurch. 

 

Ich habe einen inneren Monolog geschrieben, der genau diesen Vorgang verdeutlichen soll.

Er erzählt ausführlich davon, wie ich mich in diesem Moment fühle:

Situation: Auf dem Nachhauseweg taucht die bösartige Stimme auf – ein nicht ganz gewöhnlicher innerer Monolog

Oh nein, bitte nicht, bitte nicht jetzt!

Wie komme ich dazu, dass ich das immer ertragen soll.

Bitte Gott, lass es nicht geschehen.

 

Nebelhaft, unwegsam, undurchsichtig, unwirklich und doch für mich so wirklich, ertönst du wie aus dem Nichts. Tauchst auf als eine Fata Morgana, als ein Phantom meiner intimsten Albträume. Du loderst im Nichts meiner inneren Leere, die du mit Selbstzweifel, Kritiksucht und gefährlichen Drohungen deinerseits anfüllst.

 

Oder ist die Fülle negativer Gedanken immer schon in meinem Inneren vorhanden, brodelt und köchelt in meiner Seele und findet in dir, wenn auch unbewusst, eine Ausdrucksmöglichkeit, ein Ventil?

Ich weiß es nicht.

 

Ich gehe den Weg von der Straßenbahnhaltestelle nachhause. Der Weg, der mir immer so unendlich lang vorkommt, wenn ich dich hören muss. Autos säumen die Straße, fahren reihenweise an mir vorbei, dröhnend; Brummendes Gasgeben, eine ratternd-rasselnd-knirschende Geräuschkulisse untermalt deine schmerzhafte Zur-Schau-Stellung in meinem Gehirn. Unredlich und unzivilisiert bäumst du dich auf, verwirklichst und ereignest dich schamlos in deiner Brutalität, in deiner Lächerlichkeit, in deinem peinigend anprangerndem Gebaren.

 

Ja, es wäre wahrhaftig lustig, wenn das, wozu du mich stets ermutigen willst, nicht so gefährlich für mich wäre. Wo bist du, meine liebevolle Stimme, warum lässt du mich allein und rettest mich nicht aus dieser Situation?

 

Es beginnt zu regnen, erst leicht tröpfelnd, dann immer stärker. Das auch noch! Meinen Schirm aus meiner Tasche hervorzukramen, erscheint mir als unüberwindlich anstrengende Mühsal. Ich schwitze, weil ich so schnell laufe, als ob ich auf der Flucht wäre. Auf der Flucht vor der Stimme, vor dem Regen, davor in meiner Unalltäglichkeit bemerkt zu werden. Ach, ich will schon zuhause sein und mich ausruhen können. Leute sehen mich an, keine Ahnung, was sie denken. Alles würden sie wahrscheinlich eher vermuten, als das, was wirklich gerade mit mir passiert.

 

Ich fühle mich verletzlich, hypersensibel, die Geräusche sind alle viel lauter und borstiger als sonst, Reize überfluten mich erbarmungslos. Ich bin müde. Müde, zittrig und überfordert vom doppelgleisigen Zuhören.

Drei Teenager gehen an mir vorbei, lachend. Ich beziehe das Lachen auf mich. Ja, die lachen sicher nur, weil sie erkennen, dass ich genau so peinlich und schrecklich bin, wie du es gerade sagst.

 

Nein, aber es stimmt nicht was du sagst. ich grenze mich ab und trotzdem: Meine Selbstwahrnehmung verzerrt sich. Meine Augen sehen ganz weich und verschwommen, so als ob die Pupillen erweitert sind, sie fühlen sich so tiefliegend an. Alles ist größer, bedrohlicher, lauter, provozierender als sonst. Irritation, Verwirrung, Zerrissenheit überkommen mich. Ich muss mich so zusammenreißen, dass meine Wut nicht aus mir herausplatzt. Du ziehst mich in einen Sog aus Trauma, Elend und Qual, zerstörst meine Sicherheit, durchbohrst mein Schutzschild aus Harmoniesucht und Konfliktscheu mit der durchbohrenden Lanze der Selbsterkenntnis. Aha, das bin ich also auch noch …

 

Psychische Energie lässt sich nicht unterdrücken, egal, wie sehr ich es möchte. Vielleicht willst du mich auch erden, in mir selbst verwurzeln, mir die Vielfalt aller Emotionen unterbreiten. Aber warum willst du mich nicht mit meinen Schwächen versöhnen, warum verzerrst du alles ins Lachhafte an mir? Ich bin weder dein Fußabtreter, noch deine verbal-geistige Müllhalde, nicht dein persönliches Lachobjekt. Ich gehöre dir nicht, ich gehöre mir selbst und sonst niemandem.

 

Bist du die Personifizierung meiner aus den Fugen geratenen Schattenseite, die ich nicht akzeptieren kann?

Keine Antwort.

 

Endlich, ich hab meine Wohnung erreicht, sie kommt mir wie ein Exil vor. Jetzt darf ich mich ausruhen und telefonieren, mich irgendwie ablenken und versuchen, dich nicht so todernst zu nehmen. Ein Kasperl in dämonischer Aufmachung, aber dennoch: Ein Kasperl. Und das Erdenkarussell dreht sich weiter. Immer, wenn du da bist, mache ich Schritte, auch wenn sie unsichtbar sind und ich das Gefühl habe, dass ich im Kreis gehe.

 

Selbst wenn ein Teil von mir mich wirklich hassen und verurteilen sollte und du mir das bewusst machen willst, so gibt es auch den Anteil der Selbstliebe und der inneren Geborgenheit mit mir selbst. Den möchte ich nähren und stärken. Du bist nicht der Weltherrscher, du bist auch nicht der Gott meiner Psyche. Du bist lediglich ein sich vor der Unterdrückung wehrender Anteil von mir. Eine Spur.

Wohin und wozu auch immer …  


 

Ich wünsche uns jedenfalls, dass wir immer wieder zur Ruhe kommen können, es schaffen, uns abzulenken und das Vertrauen in das Gute in uns nicht verlieren. Es ist oft schwer, aber es lohnt sich so sehr, dranzubleiben. Kopf hoch, lasst uns nicht aufgeben, ich fühle mit euch.

 

 

Alles Liebe und Gute beim Sich-Innerlich-Sammeln und Selbst-Finden!

 

Herzliche Grüße,

Barbara Koller

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Kommentare: 2
  • #1

    Marlene (Montag, 24 Mai 2021 12:46)

    Liebe Barbara, danke für den Text. Er hilft, dass wir uns vorstellen und einfühlen können, wie es sein kann, wenn man Stimmen hört: beklemmend, verwirrend, ermüdend, wehrloses Opfer eines störenden Eindringlings.
    Jedenfalls kannst du dem gnadenlosen Kritiker sagen, dass du wunderbare und berührende Texte schreibst, mutig bist und dein Schreiben anderen Hoffnung gibt.
    Max Frisch: "Schreiben heißt, sich selber lesen." Viel Glück auf deinem Weg, die Spur ist gefunden.

  • #2

    Barbara Koller (Dienstag, 28 Dezember 2021 14:45)

    Liebe Marlene, danke für die wertschätzenden Worte. Der Leidensdruck beim Stimmenhören ist oft immens, dennoch versuche ich meine Hoffnung und meinen Optimismus zu bewahren und das auch zu vermitteln. Dein Feedback bestärkt mich darin. Denn wie oft habe ich erlebt, dass auf einen düsteren Abend der scheinbaren Ausweglosigkeit ein umso hellerer Morgen mit frischem Mut zum Durchstarten kam!
    Ein frohes neues Jahr!