Die Existenz von zahlreichen Ursachen für Rückzugstendenzen ist wohl unbestritten, ebenso wie die Tatsache, dass es Abstufungen des Ausmaßes einer abgeschiedenen Lebensweise gibt.
Denn während einige süchtig nach Ablenkung und Vergnügen sind, sich permanent von Reizen berieseln lassen wollen, betonen andere ihre Individualität, suchen die Einsamkeit mit sich selbst und brauchen viel Zeit, um innezuhalten und zu reflektieren, Begegnungen zu verarbeiten.
Unser Zeitgeist ist bekanntlich sehr schnelllebig und kurzatmig, das Einströmen von Eindrücken, Informationen und Unterhaltungsangeboten kann Menschen innerlich aushöhlen und zu einem geistigen Vakuum führen. Vermutlich auch zu psychischen Erkrankungen, vor allem zum Burnout-Syndrom. Kurzum, wir fühlen uns abgestumpft, überflutet, ausgebrannt und verbraucht.
Fernzusehen oder im Internet zu surfen kann zu einer Droge werden, von der man nicht mehr loskommt. Es vermittelt das Trugbild, an all den aufregenden und spannenden Lebenswelten von anderen teilhaben zu können. Dadurch ist es für TV- und Computer-Junkies vielfach so, als würden sie all das selbst erleben. Sie laufen infolgedessen Gefahr, das eigene Leben zu vernachlässigen und leer vorbeiziehen zu lassen.
Andere hingegen sehen sich von dieser Betriebsamkeit, Hektik und dem Gedränge so in Bedrängnis und unter Druck, dass sie sich der Realität vollkommen entziehen und sich isolieren. Die oberflächlichen Werte in der Gesellschaft, wie die Ausübung von Macht, das Anhäufen von Geld sowie die Leistungsbezogenheit tragen ihr Übriges dazu bei. Immer mehr Menschen verfallen einem „Tunnelblick“ und nehmen außer dieser verschrobenen Prioritäten keine phantasievollen Farben und Schattierungen des Lebens mehr wahr.
Meiner Ansicht nach ist es erstrebenswert, die richtige Balance zwischen der positiven Einsamkeit und der Pflege von Kontakten zu entwickeln.
Biographie und Veranlagung
Ein weiterer Grund für Rückzug und Isolation sind traumatische Erfahrungen. Zudem fühlen sich Menschen, die eine erhöhte Vulnerabilität aufweisen, oftmals so gekränkt und verletzt, dass sie sich ganz in ihr inneres Gefängnis zurückziehen. Wiederholt reichen schon Kleinigkeiten aus, Lappalien und es kommt zu Trennung und Rückzug, wie ich es bei Menschen mit Borderline-Störung oder Sozialphobie öfters beobachtet habe. Einige geben sich selbst die Schuld, andere richten die Aggression gegen ihre Umgebung. Nicht selten passiert dies auch gleichzeitig, der eine Zustand kann jedoch ebenfalls in den letztgenannten übergehen und umgekehrt, es kann zu einem mehrmaligen Wechsel kommen. Gefühle von Unsicherheit, Ausweglosigkeit, Wut und sozialen Ängsten können lähmend wirken. Die Beschränkung auf die eigenen vier Wände geben einigen eine unverzichtbare Sicherheit, der Postmann und Lieferanten werden die besten Freunde, man ist „abgesondert“.
In dieser Situation ist es möglich, dass man verlernt, wie man mit anderen positiv umgeht, denn das Ich braucht erfahrungsgemäß ein Gegenüber, um etwas über sich und das eigene Verhalten herauszufinden. Als ich so unendlich einsam war, sehnte ich mich ständig so nach Nähe und Liebe, konnte sie aber gleichzeitig nicht zulassen.
Stimmenhören und sozialer Rückzug
Auch viele StimmenhörerINNEN kennen und suchen das Alleinsein. Wenn man den Stimmen deren Ausführungen glaubt, ist es wahrscheinlich, dass es zu einer massiven Verschlechterung des psychischen Zustandes kommt. Manche können Geräusche und Eindrücke nicht mehr filtern, trauen sich zudem aus Angst nichts mehr zu, haben das Gefühl, in der Außenwelt nichts mehr schaffen zu können, fühlen sich von alltäglichen Begebenheiten bedroht. Leichte Tätigkeiten werden zu Drahtseilakten und Spießroutenläufen, wodurch sie sich schließlich zurückziehen und vereinsamen.
Die soziale Kompetenz kann ebenfalls beeinträchtigt sein, weil man sich so anders und fremd und manchmal auch unverstanden fühlt, wie ein Außerirdischer, der sich selbst und seinen Mitmenschen Unbehagen bereitet. Das Selbstwertgefühl kann erheblich darunter leiden. Außerdem die Furcht, dass, wenn ich mich herzeige mit allem, was ich bin, gleichsam mit meinen Abgründen, dann sehen andere, dass ich tief in mir drinnen ein Versager bin und nichts wert. Dieses Denken führt in eine Abwärtsspirale und intensiviert Abkapselung und Isolation. Jener Vorgang kann seinen Ursprung in schwierigen Kindheitserfahrungen haben, in unsicheren Bindungen, Abwertungen, im Fehlen der bedingungslosen Liebe und Akzeptanz im Kindes- und Jugendalter. Rückzug und Stimmenhören bedingen einander ab und zu wechselseitig. Denn irgendeine Form von Kommunikation und Liebe braucht, glaube ich, jeder …
Phantasiewelten, die entstehen können
Zahlreiche Menschen, die sich zurückziehen, machen die Nacht zum Tag, weil sie mit dem regen Treiben der Welt nicht konfrontiert sein wollen, dem Trott entfliehen wollen.
Viele begeben sich in eine parallele Traumwelt, in der es Stimmen geben kann, die Fabelwesen und Phantasiefiguren zum Leben erwecken kann. Dies kann sich zugleich magisch schön und hemmend anfühlen. Das kann bis zur totalen Abwendung von der Wirklichkeit gehen. Mitunter fungiert dieser Trend auch als Schutz, er gibt Behütetheit, verhindert aber bisweilen Lebendigkeit und Authentizität. Meiner Meinung nach darf das alles sein, man darf sich einfach Zeit geben und liebevoll zu sich selbst sein. Ich befinde mich bereits seit über zwei Jahrzehnten in meiner Traumwelt.
Corona
Die Corona Pandemie, die Angst, sich mit dem Virus anzustecken hat diese Neigung noch zusätzlich verstärkt. Viele Menschen werden darüber hinaus leichtgläubig, geben sich Illusionen, die richtigen Psychosen gleichen, hin, glauben alles, was in sozialen Netzwerken verbreitet wird. Die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit sind für uns alle, denke ich, ein großes Fragezeichen und Geheimnis …
Im Folgenden habe ich einen inneren Monolog geschrieben, der von meinen eigenen Rückzugskurs einst erzählt:
Innerer Monolog: Rückzugssituation
„Ich verbarrikadiere mich…“
Mein Leben zieht in Gedanken an mir vorüber-gerade jetzt- wie ein Kinotrailer oder eine Bilanzschleife. Ich begreife das nicht, ich erkenne nicht den Hauch einer sinnvollen oder wohlwollenden Essenz der Geschichte.
Keine königsblaue Tinte also, mit der die Tragödie meines Lebens geschrieben wurde.
Sondern der klebende Staub auf den Straßen, der strömende Regen unter dem Himmel, die schmutzige, klecksende Erde, die sich vermengen und das Bild meines Daseins gestalten.
Eine leblose Aneinanderreihung von unansehnlichen Traurigkeiten, während mir andere sagen, wie glücklich ich strahle.
Ich will nicht mehr hinausgehen in diese Welt und ihre Gesichter sehen, mich von ihrer Hinterhältigkeit verletzt fühlen, mich nichtsahnend Intrigen aussetzen, deren Aufdeckung mich Jahre später überraschen und verstören würden. So sehr verstören, dass vielleicht noch eine weitere psychische Krankheit mein Leben kreuzt … doch könnte mich das noch schockieren? Welche Diagnose habe ich denn nicht? Ich identifiziere mich mit so vielen Störungen und es ergibt sich daraus das Mischbild meiner Persönlichkeit.
Aber ich bin keine lebende Diagnose, ich bin eine sehr verletzte Frau, die oftmals das Gefühl hat, sie dürfte nicht so verletzt und unzufrieden sein, weil es ja so viele Menschen definitiv gibt, die über mehrfach Vorzüge, die mein Leben aufweist, nicht verfügen.
Mein Atem ist langsam und ruhig… Herzrasen, ein beklemmendes Gefühl in der Herzgegend.
Enge in dieser Welt, Weite beim Träumen. Eingesperrt in dieser Welt, wie in meiner Wohnung.
Die Sehnsucht nach Gemeinschaft überwältigt mich täglich, aber ich will niemanden sehen oder spüren, dass jemand da ist.
Die Angst, nicht gut genug zu sein, oder doch die Angst, andere seien nicht gut genug? Aber muss ich, müssen wir alle wirklich gut sein, oder von irgendetwas genug sein oder gar für etwas?
Nicht lieb, nicht sanft, nicht einfühlsam, nicht ehrlich, nicht wohlwollend genug?
Meine eigenen Werte fliegen mir um die Ohren, der Druck ist unermesslich.
Der Wunsch, mich zu verändern, mich einzulassen und schon wieder durchströmt meinen Körper eine elektrisierende, hoffnungsvolle Empfindung, gefolgt von einem dumpfen, resignierenden Schauer. Die Kälte, die klare Stille in meiner Wohnung. Kein Wort, kein Geräusch, kein Leben.
Und damit auch kein Risiko, gekränkt zu werden durch andere, nur durch die Strenge und Härte der eigenen Bewertungen- und die sind schlimmer als die aller anderen- und durch das Allerhärteste: die Einsamkeit, den Schmerz.
Geräusche- die allgegenwärtigen Nachbarn- kein Schimmer, wie es bei ihnen aussieht, weder in ihren Wohnungen noch in ihrem Inneren und doch die ewige Teilnahme an intimen Geräuschen.
Ich fühle mich nicht lebendig, nur meine Gedanken diktieren meiner Hand diese Zeilen, instrumentalisieren sie, wollen sich befreien aus dem Käfig meines Gehirns; Könnte ich jemals dem Kokon meiner Hemmungen entfliehen und leichte, bezaubernde, beglückende Schmetterlingsbegegnungen zulassen? Meine Seele nicht mehr verstecken hinter dem Panzer?
Neuer, alter Vorsatz: Panzer abbauen, dann wird sich mein Leben garantiert verändern. Dann wird das Glück das Tor zu meinem Leben aufstoßen und mich retten. Die sich nie verflüchtigende Illusion.
Warum will ich nicht gesehen werden, warum muss es der Panzer bleiben? Ich will doch so sehr gesehen werden, aber wie soll ich so viel Lebendiges ertragen, wenn ich mich tot fühle?
Niemand da, der die Leere auffüllen kann, am wenigsten der Fernseher oder der Radio. Worte, gesprochen wie von Robotern.
Wie tüchtig und geschäftig doch alle sind, nur ich halte diese geistigen Kindergartenmaßstäbe nicht mehr aus, will nicht mitwirken. Will mich total ins Schneckenhaus meines Inneren zurückziehen, mich verbarrikadieren vor Ansprüchen, die mir zuwider sind. Will für immer beleidigt bleiben.
Hingegen könnte ich ein Teil der Menschenfamilie sein und mich nicht überwältigen, nicht stürzen oder verwehen lassen? Mich versöhnen mit allem, was da ist, zuerst wahrscheinlich mit mir selbst?
Ein Blick auf die glänzenden Blätter meiner Wohnzimmerpflanze. Sie verbiegt sich, passt sich an, um meine Wohnung zu erfreuen. und sie glänzt dabei wie eine Glamourgöttin.
Ich kann und konnte mich oft nicht anpassen, jedoch bin ich deswegen schlechter? Oder besser? Oder gar nichts, nur die Barbara Koller und sie ist nicht nichts. Auch wenn sie jetzt gerade nichts erfreut, sie in totaler Missstimmung und absolutem Ungleichgewicht mit ihrer Situation ist.
Sich auf die Erde verbannt und unbeschützt fühlt. Muss oder darf oder kann ICH für mich selbst sorgen? Mich aus dem Korsett der ewigen Widerstandskämpferin gegen Umstände sowie dem archetypischen Zwang der Kriegerin, die darum kämpft, gesehen und geschätzt zu werden, befreien?
Doch bitte nicht mehr aus dem Irrglauben heraus, etwas wert zu sein aufgrund weltlicher Erfolge.
Mich annehmen und akzeptieren, dass fernab aller Bemühungen vielleicht doch insgeheim alles göttlich sein könnte, rein von sich aus und durch sich selbst alleine. Heute und jetzt gut zu mir sein, mildtätig und barmherzig. Das Arbeiten an meinen Problemen als Lernprozess begreifen, anstatt fanatisch an Schuld und Sünde festzuhalten. Meine Grausamkeit mir gegenüber langsam abbauen.
Und wiederum mich einlassen, mal mehr, mal weniger.
Nichts zu müssen, alles zu dürfen, lernen zu dürfen, verstehen zu lernen.
Runterkommen von allem Beurteilenden, Abgehobenen, das mich von anderen trennt.
Auch wenn ich noch so Angst habe, wenn ich die Hüllen des Intellekts und der Barbiepuppen Schminke fallen lasse, mit leeren Händen als begossener Pudel dazustehen.
Aber auch meine Fassade ist weder lieb, noch unliebsam, sondern sie IST einfach.
Ich heiße Barbara, ich nehme dieses Leben an für diesen einen Moment und lasse mich für einen Millimeter weit ein. Ich selbst kann meine Wahrnehmung verändern. DANKE!
Ich wünsche denjenigen, die unter ihrer Vereinsamung leiden, dass sie erkennen, dass sie wertvoll und kostbar sind, genau so wie sie sind, dass sie dafür nichts Besonderes leisten oder können müssen. Es ist sicherlich eine Lernchance, sich von außen nicht mehr so beeinflussen zu lassen, sondern seinen eigenen Weg zu gehen und sich selbst etwas wert zu sein. Weiters wünsche ich euch Menschen, die euch lieben und denen auch ihr euch getraut eure Liebe zu schenken. Es wartet so vieles, was entdeckt werden will – nur Mut zum Risiko!
Brecht die Schalen der Verpanzerung und der Kümmernisse auf und kriecht aus dem Winterschlaf eures Schneckenhauses hervor in den wortwörtlich frühlingshaften Sonnenschein!
It should be interesting …
Bis bald und liebe Grüße,
Barbara
PS.: Es ist jetzt übrigens ein Jahr her, dass ich begonnen habe, für die Stimmenhören-Homepage diesen Blog zu gestalten. Seit März 2021 gibt es ihn. Ich würde mich demnach zufolge über ein Feedback von euch außerordentlich freuen!
Kommentar schreiben
Marlene (Montag, 21 März 2022 09:31)
Liebe Barbara, ich danke dir, dass du nun schon seit einem Jahr diesen Blog schreibst und deine Erfahrungen, Überlegungen, deine Lieder und Videos mit uns teilst. Für mich sind das wertvolle Anstöße zum Nachdenken und ich gewinne mehr Einsicht und Verständnis in eine Erlebniswelt, die mir sonst verschlossen ist. Es ist eine Herausforderung, das Wagnis auf sich zu nehmen, so viel Persönliches zu teilen, über Verletzungen zu sprechen, die Welt der Wünsche und Träume für andere zu öffnen. Das ist sehr mutig, verlangt Zeit und Konzentration und eine Begabung zum Reflektieren und Formulieren. Ich habe großen Respekt für deine Arbeit und denke, dass sie hilfreich für andere stimmenhörende Menschen sein kann. Ich wünsche dir eine leichte und entspannte Zeit und erfreuliche Begegnungen.
Barbara (Dienstag, 22 März 2022 12:29)
Hallo liebe Marlene, vielen Dank für die netten, achtsamen Worte.
Es kommt mir noch gar nicht wie ein Jahr vor, dass ich diesen Blog schreibe, die Zeit ist wie im Flug vergangen. Dies ist wirklich eine für mich emotional und geistig sehr gewinnbringende, bereichernde und sinnstiftende Beschäftigung. Die Recherche für die Ausübung dieser Aufgabe basiert vordergründig auf meinem eigenen psychischen Erleben.
Und beim Schreiben kristallisieren sich die Gedanken, das heißt, ich entdecke auch für mich immer wieder neue Einsichten und Erkenntnisse.
Ich bin auch sehr dankbar, dass dieser Rahmen, diese Plattform geschaffen wurde, damit ich sie nutzen kann, um für mich ( und hoffentlich ebenso für andere) interessante und relevante Themen aufzugreifen und zu bearbeiten. Ich hoffe , die Sonnenstrahlen meiner Worte reichen aus, um traurige Herzen behutsam zu wärmen! Ich wünsche dir einen wunderbaren Start in den Frühling und freue mich, wieder von dir zu lesen. Herzliche Grüße, Barbara